Zen ist keine Religion. Diese Meinung habe ich immer wieder vertreten. Zu sagen, dass Zen keine Religion ist, drückt aus, dass der Buddha-Weg (butsudô) keine Religion ist. Wie dem auch sei, so sind religiöse Konzepte
immer verflochten mit Wörtern wie Zen oder der Buddha-Weg. Die meisten
Menschen haben kein Problem mit der Aussage, dass Zen keine Religion sei,
aber ich denke, es gibt viele, für die es ein Problem ist. Warum ist
Zen keine Religion? Warum ist der Buddha-Weg keine Religion?
Um diese Fragen zu klären, will ich gleichwohl
über die Frage nachdenken, weshalb religiöse Konzepte mit Begriffen
des Zen und des Buddha-Weges verflochten sind. Um in diese Diskussion einzuführen,
müssen wir mit der Frage beginnen: Was ist eine Religion? Es wird
gesagt, dass es ebenso viele Erklärungen für den Begriff Religion
gibt, wie es Experten auf diesem Gebiet gibt. Hier möchte ich von
meiner Seite die Definition benützen, die in dem Standard-Wörterbuch
der japanischen Sprache (Kôjien) gegeben wird. Sie scheint repräsentativ
zu sein. So heißt es im Kôjien: "Religion bedeutet Beschäftigung
mit und Glaube an einen Gott oder an eine Art heiliges Wesen, welches sich
von anderen weltlichen Wesen unterscheidet. Und Glaube oder Beschäftigung
damit verweist auch auf in direktem Zusammenhang stehende Strukturen."
In anderen Worten gesagt, ist es für eine Religion unabdingbar, ein
Wesen anzuerkennen, welches die Macht der Natur und und der Menschen durchdringt.
Und von da her kann man sagen, dass Religion den Glauben an dieses tranzendierende
Wesen einschließt und auch Beschäftigungen, die auf diesem Glauben
basieren.
Aber was ist dann Zen? Wie ich immer sage, bedeutet
Zen, in praktischer Erfahrung das eigene wahre Selbst zu finden und das
Bemühen, dieses gefundene wahre Selbst zu personalisieren. Aber sehr
einfach ausgedrückt, ist Zen die Suche nach dem wahren Selbst und
dessen Klärung. Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass diese
Definition Zen in seiner Gesamtheit ist. Das Wesen des Zen ist, in seiner
endgültigen Analyse, das Selbst und nichts als das Selbst. Es sollte
dann klar sein, dass Religion, welche von Beginn an die Wahrnehmung eines
transzendenten Wesens voraussetzt, welches das Selbst durchdringt, und
Zen vollkommen verschieden voneinander sind.
Aber was ist mit dem Buddha-Weg? Wie ich in der letzten Ausgabe schrieb, sind Buddha und Buddha-Weg Benennungen, um das entdeckte wahre Selbst zu bezeichnen. Das gefundene wahre Selbst ist wirklich eins mit allem, das ist. Das Selbst und das ganze Universum sind von Grund auf ein Sein. Um das
wahre Selbst von dem zu unterscheiden, was zuvor erkannt war, werden die
Worte Buddha und Buddha-Weg benutzt. Mein größter Wunsch ist
es, dass ihr nicht vergesst, dass Buddha ein andrer Name für euch
selbst ist.
Wenn jemand so weit gehen will und Buddha und Buddha-Weg unterscheiden will, so mag man sagen, Buddha verweist auf das wahre Selbst und Buddha-Weg verweist darauf, wie das wahre Selbst handelt. Wie dem auch sei, jede dieser Bezeichnungen sind nichts anderes als das wahre Selbst.
Aber weshalb werden Ausdrücke wie 'Zen', 'Buddha',
'Buddha-Weg' üblicherweise mit Religion oder mit Teilen von Religion
assoziiert? Ich denke, dass das deshalb so ist, weil sich das erfahrene,
wahre Selbst grundlegend von dem illusorischen Selbst unterscheidet, welches
man bisher als das wahre Selbst angesehen hatte. Die Tatsache, dass das
ganze Universum, alles was ist, und das Selbst vollkommen eins und dasselbe
sind, das ist etwas, das zu weit entfernt ist von dem, was man bisher über
das Selbst gedacht hat. Weil jene, die nicht das wahre Selbst gefunden
haben - das ist der größere Teil der Menschheit - , von dieser
Erfahrung keine andere Vorstellung haben, als in der Art, dass das Selbst
eine Art vollkommen transzendentes Wesen sei, öffnet diese Vorstellung
folglich den Bereich von Religion.
Und der Hauptgrund dafür, dass der Buddha-Weg
mit Religion vermischt wurde, ist, dass jene, die dafür verantwortlich
sein sollten, den wahren Buddha-Weg zu verbreiten - das sind Tempel-Mönche
und die meisten derjenigen, die in Verantwortung für die Tempel stehen
- , auf Buddha als ein transzendentes Wesen schauen und zu den Leuten predigen,
an Buddha zu glauben.
Abschließend sei gesagt, was diejenigen,
die Zen oder den Buddha-Weg als als eine Religion ansehen von jenen trennt,
die es als etwas sehen, das frei von Religion ist, das Nichterkennen der
Präsenz oder das Fehlen einer klar erfahrenen Erkenntnis des wahren
Selbst ist. Man kann sagen, dass frei von Religion zu sein, bedeutet, den
Wandel von Glauben zu dem Streben nach der Entdeckung der existentiellen
Wahrheit zu vollziehen und das ist der Prozess, der Zen und Wissenschaft
sich immer mehr annähern lässt. In diesem Sinn ist die Mission
der Sanbôzen das Ent-Religionisieren des Zen.
Die Worte von Koun Roshi drückt dies perfekt
aus: "Christen, die Zazen üben, können bessere Christen
werden, Muslime können bessere Muslime werden."
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